… und schon ist die Kacke am Dampfen, in vielerlei Hinsicht.
Designfans freuen sich auf Objekte, deren Ästhetik die Sinnhaftigkeit der Anschaffung mit großer Wahrscheinlichkeit übertreffen wird. Minimalist*innen wiederum, die sich mit der Konmari-Methode von diversem Tand und Tinnef befreit haben, wittern Verrat und einmal mehr die fragwürdige Aufforderung zu unnützem Konsum. Dass der Onlineshop einige Monate nach dem Start der Netflix-Serie und wenige Wochen vor Weihnachten eröffnet wurde, ist dabei sicher nur Zufall.
Wer ist nochmal diese Marie Kondo?
Die japanische Ordnungsberaterin Marie Kondo räumt für und mit Leuten aus, auf und um, und organisiert die Dinge ihres Lebens und Hausens. Vor einigen Jahren hat sie dazu ein Buch geschrieben – Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert – das auch im konsumgeilen und entsprechend verrümpelten Westen zum absoluten Bestseller wurde. Deshalb hat sie dann auch gleich noch zwei weitere zum selben Thema nachgelegt – Magic Cleaning 2. Wie Wohnung und Seele aufgeräumt bleiben und Das große Magic Cleaning Buch –, weil das in den Marketingabteilungen dieser Welt gerne so gemacht wird, auch im Verlagswesen. Stichwort: Da geht noch was. Es sei an Allen Carr und seine “Endlicher Nichtraucher”-Reihe gedacht, auf die später dank schlauem Marketing ähnliche Titel wie Endlich Wunschgewicht, Endlich ohne Alkohol oder – ein besonderes Juwel – Endlich erfolgreich folgten. Und auch Mark Manson hat “fuck” zum Lebensmotto erhoben, digital wie analog – eben hauptberuflich lässig.
Es darf also getrost das gleiche KonMari-Konzept in neue Marketing-Mäntelchen gekleidet werden, immerhin ist ihre Botschaft eine recht interessante, die auch mir das Leben schon massiv erleichtert hat: Menschen besitzen zu viele Dinge und werden von diesen erdrückt – finde heraus, was dir besondere Freude bereitet (im Englischen schöner umschrieben mit der Formulierung “find the things that spark joy”) und entledige dich des Rests, um Ordnung und Platz für die freudigen Dinge des Lebens zu schaffen. Wie gesagt, auch ich komme mittlerweile entspannter durchs ADHS-Leben, weil um recht viel Plunder erleichtert. In diesem Sinne: danke Marie Kondo!
Nun hat Kondo mittlerweile nicht nur drei Bücher und eine Netflix-Show im CV (neben ihren beruflichen Erfahrungen prä-KonMari), sondern vor kurzem auch ihren eigenen Konmari-Onlineshop eröffnet, was ihr vor allem aus der Lifestyle-Community, aber auch ganz allgemein Schimpf und Häme eingebracht hat. Auf mehreren Ebenen stellt sich allerdings die Frage, warum das so ist.
Mach dir die Konmari-Welt, wie sie dir gefällt
Die seit einigen Jahren sehr erfolgreiche Minimalismus-/Bewusster-Konsum-/Slow-Living- und Fair-Fashion-Welle, deren verschiedene Elemente letztendlich doch immer irgendwie ineinanderzugreifen scheinen, bringt auch Marie Kondo enthusiastischen Zulauf. Ihr “Spark Joy”-Konzept findet Anklang bei allen, die ihr Leben und die Dinge darin lieber sinnvoll nutzen und nicht masseverwalten wollen – auch mir hat ihr Buch ausgezeichnet geholfen, vor allem meine Klamotten und verschiedenen Tinnef auf ein für mich erträgliches Maß zu reduzieren. Bei allem Erfolg ihrer Methode hätte ich ihr Konzept aber nie so verstanden, dass ich einen gewissen Anteil an Sachen wegwerfen MUSS, um nach der Konmari-Methode zufriedener und ordentlicher zu leben. Jede und jeder entscheidet selbst, was und wie viel das Haus verlässt. Unkenrufe a’la “erst räumt sie uns die Bude aus, damit wir dann mehr Platz für ihr Zeugs haben” scheinen mir in diesem Zusammenhang nicht nur übertrieben und lächerlich, sondern auch sachlich falsch. Wer seine Bude dank der Konmari-Methode ausgeräumt hat, hat diese Leistung eigenverantwortlich vollbracht und die Methode in diese Richtung angewandt. Ich hätte Marie Kondo jetzt noch in keiner Netflix-Episode die Pumpgun zücken sehen, um Ausräumwillige auf Leib und Leben zu motivieren …
Zu viel des Lifestyle-Konsums?
Natürlich ist die Sinnhaftigkeit der Anschaffung einer Stimmgabel mit Rosenquartz für schlanke 75 US-Dollar für den neo-minimalistisch reduzierten Haushalt ein wenig fragwürdig. Und ob eine Teedose oder simple Hausschlappen tatsächlich 200 bzw. 206 US-Dollar kosten müssen, darf natürlich auch diskutiert werden. Tatsache ist, dass Kondo in ihrem Shop Designobjekte aus (selbst deklarierter) hochwertiger Produktion zu den entsprechenden Preisen anbietet. Dass sich manche Produkte dabei auch ein wenig an der japanischen Lebensart orientieren, wird bei diversen Kritiken gerne übersehen. Dass mittelmäßige US-amerikanische Schauspielerinnen schon seit Jahren völlig überteuerten, kulturrelativistischen Ramsch ohne viel Hintergedanken sehr erfolgreich verkaufen, und sich damit ihr eigenes kleines Imperium aufgebaut haben, wird ebenso geflissentlich ignoriert. Immerhin will Gwyneth ja nur, dass wir unsere Vagina dampfreinigen und geht uns dabei nicht gleich an den Kleiderschrank, um ihn auf ein Drittel reduzieren.
Kondos Schritt zum eigenen Onlineshop wird verteufelt als hätte sie mit Walmart eine Partnerschaft zur Berümpelung der Welt abgeschlossen. Dabei ist sie selbst keine Minimalistin im Sinner des aktuellen Zeitgeistes – sie hilft beim Aufräumen und Organisieren von Dingen und vertritt die Idee, dass wir unsere Besitztümer wohlbedacht auswählen sollen. Sie deshalb in einen Topf mit Leo Babauta, Ryan Nicodemus und Joshua Fields Milburn oder Joshua Becker, ist aber falsch. Sie wird nur gerne in Zusammenhang mit dieser Strömung vermarktet, weil es sich eben marketingtechnisch anbietet.
Denn eines haben alle gemeinsam: Sie versprechen eine allgemeine und mentale Leichtigkeit dank umfassender Reduktion von Besitz und damit einhergehender Verantwortung. Trotzdem sind ihre Beweggründe und Ziele andere. Sie also aus diesem Minimalismus-usw-Background heraus zu kritisieren, macht inhaltlich weniger Sinn, als so manchen auf Instagram, Twitter, oder wo auch immer die Wellen hochgingen, klar sein mag.
Eindeutig mehrdeutige Grauzonen
Sportliche Geldscheffelei kann und soll immer kritisch im Auge behalten werden, denn niemand ist über jede Kritik erhaben, auch und gerade Marie Kondo nicht. Dass sie ihre seit einigen Jahren währende Popularität auch unternehmerisch nutzen will, mag irritieren, ist aber ihr gutes Recht und sie ist damit auch in bester Gesellschaft. Ein Blick auf Instagram zeigt, dass man aus vielem ein Geschäft machen kann – was Individuen teils auch mehr Freiheiten bringt und nicht per se schlecht ist. Schwarzweißmalerei bringt uns dann aber alle zusammen nicht weiter.
Denn die Message von Minimalismus- und Slow-Living/Nachhaltigkeits-Influencer*innen, die ReUse und ähnliches predigen, und dann wöchentlich den neuesten Shit auf ihrem Account vorstellen, weil dieser ‘kostenlos zur Verfügung gestellt wurde’, darf dann natürlich auch hinterfragt werden. Hier allerdings beißt sich die Katze in den Schwanz: Gerade viele kleine Labels, die tolle Sachen leisten und machen, brauchen genau dieses niederschwellige Marketing, um überhaupt wahrgenommen zu werden, da andere Maßnahmen zu teuer sind. Dass das aber bei weitem aber nicht auf alle gezeigten Kooperationen zutrifft, wird auch schnell klar. Letztendlich ist es die individuelle Entscheidung aller Beteiligten, ob und wie zusammengearbeitet werden soll. Trotzdem zeigt sich hier eine von vielen Grauzonen, in denen wir uns immer wieder bewegen.
Also lasst doch Marie auch einfach ein bisschen in der Grauzone laufen, in $206-Schlappen und perfekt eingeschwingt mit ihrer Stimmgabel-Kristall-Kombo, weil: warum denn nicht? Muss ja niemand kaufen. Und tut – zumindest gemäß der Produktangaben – niemandem weh.