“Der beste Konsum ist der, der nicht stattfindet. Weil es aber unrealistisch ist, dass alle von heute auf morgen nichts mehr konsumieren, brauchen wir Lösungen. Die gute Nachricht: Es gibt so viele Möglichkeiten und Alternativen, ein nachhaltiger Lebensstil ist längst keine Einschränkung mehr. Es macht Spaß, die Lösungen auszuprobieren und grüne Marken und Ideen zu unterstützen.”
Da hat Mimi Sewalski, Soziologin, langjährige Geschäftsführerin von Avocadostore und Autorin des hier beschriebenen Buches, recht. Und es macht ebenso Spaß, sich immer wieder in die Materie einzulesen, Neues zu erfahren, Altbekanntes aufzufrischen und das alles in einem interessanten Nachschlagewerk parat zu haben. Wie eben in Mimi Sewalskis Buch Nachhaltig leben jetzt. Hintergründe verstehen, Fakten checken, Gewohnheiten etablieren.
In sechs Abschnitten behandelt sie die Themen Mode, Kosmetik, Ernährung, Wohnen, Internet, Arbeit & Geld sowie Mobilität & Reisen und erläutert ausführlich, warum ein achtsamer Umgang mit diesen Themen nicht nur dem Planeten, sondern auch uns selbst gut tut. Dass diese beiden Komponenten zusammenhängen, ist nämlich gar nicht immer so offensichtlich, wie Leute, die sich schon länger mit der Thematik beschäftigen, gerne meinen. Was aber nicht heißen soll, dass Mimis Buch nur für Newbies geeignet ist. Auch Menschen, denen Nachhaltigkeit schon länger am Herzen liegt, finden Inspiration und interessante Informationen übersichtlich gesammelt in einem Buch. Interviews mit Verantwortlichen und Engagierten, wie etwa Jette Madiges von der World Fair Trade Organisation, Stefan Siemer von Weleda, Ernährungsexperten Niko Rittenau und Elias und Matthias Bohun von Traivelling, geben dabei tiefere Einblicke in die verschiedenen Themenbereiche.
Dress to impress?
Mode ist das erste Kapitel in diesem Buch, und das nicht zu unrecht. Zwar ist Mode an sich bei weitem weniger wichtig, als sich Fashionfans das vielleicht vorstellen können, aber die Modeindustrie ist einer der größten Klimakiller überhaupt, und das leider weltweit, wenn auch unterschiedlich massiv. Ein Umdenken zu bewusstem Konsumverhalten ist hier also von großer Wichtigkeit. Um das zu erreichen, wird das Thema entsprechend vielseitig beleuchtet. Dabei geht es dem Mythos der edlen Kleiderspende ein kleinwenig an den Kragen, es werden der Produktionsweg eines T-Shirts sowie die ökologischen und humanitären Folgen von Fast Fashion nachgezeichnet.
“Uns sollte bewusst sein, dass wir mit jeden Kauf eines sehr günstigen Shirts die Billigspirale und somit eine umweltschädliche Produktion mit schlechten Arbeitsbedingungen für die Arbeiter und Arbeiterinnen fördern.”
Doch die Autorin will nicht schelten oder einfach nur Greenwashing enttarnen. Mimi Sewalski erklärt die wichtigsten Unterschiede und Vorzüge von Slow/Fair Fashion, gibt einen Überblick zu den Entwicklungen, die sich in der Branche getan haben – denn Ökomode ist heute vor allem Mode, und nicht mehr ‘nur’ Öko – und zu den verschiedenen Siegeln und Kennzeichnungen, an denen man sich beim bewussten Shoppen orientieren kann.
Ein umfassender Überblick zu Eco-Fashion-Marken in verschiedenen Stilrichtungen und Einsatzbereichen (Casual, Business, Jeans, Outdoor, Accessoires sowie Damen, Herren und Kinder) und eine Modestrecke mit ‘Alltagsmodels’ demonstrieren die Vielseitigkeit und das breite Angebot an fairer Mode für jeden Anlass. Und auch Tipps zur richtigen Pflege von Kleidung und der Umstellung auf einen fairen Kleiderschrank helfen, Shopping in Zukunft bewusster zu gestalten. Schließlich geht es doch immer wieder um die gleichen Fragen: Was brauche ich, was möchte ich, und wo finde ich den Mittelweg?
Zwischen Schein und Sein
Das Kapitel zu Kosmetik widmet sich ebenfalls dem äußeren Schein, wenn auch auf andere Art. Die Kosmetikindustrie verspricht illusorische Ergebnisse, die absurde Preise und fragwürdige Entwicklungs- und Produktionsbedingungen rechtfertigen sollen. Inhaltsstoffe, die viele in anderer Form nicht mal in die Wohnung, geschweige denn in die Nähe ihres Körpers bringen würden – Algen, Plankton, Hyaloron, anyone? –, sollen glätten, fillen, übertünchen, und uns ewig schön und jung halten bis zum bitteren Ende. Was wir uns da eigentlich ins Gesicht, die Haare und auf den Körper schmieren, ist uns aber nur selten wirklich klar.
“Wir lesen Buzzwords wie Hyaluron, Retinol oder Urea und denken, dass wir damit unserer Haut etwas Gutes tun. Wir verstehen oft jedoch nicht, dass wir meist zu viel oder vielleicht sogar das Falsche auftragen. Viel hilft beim Thema Haut eben nicht unbedingt viel.”
Mimi Sewalski klärt hier auf und erläutert die wichtigsten Inhaltsstoffe inklusive deren Kürzeln und Fachbegriffen, sodass wir auch die kryptischen Angaben auf diversen Dosen und Tuben besser aufschlüsseln können. Und auch alle wichtigen Siegel und Kennzeichnungen finden sich in einer übersichtlichen und ausführlichen Aufstellung, damit faire und nachhaltige Kosmetik von uns auch gleich erkannt werden kann.
Wie gut essen funktionieren kann
Das Thema Ernährung ist ein breites und vielschichtiges Feld, das gerne kontroversiell diskutiert wird. Wer schon mal die Dokumentationen Cowspiracy oder What the Health gesehen und Bücher wie The China Study oder How to not die gelesen hat, weiß, dass stichhaltige und vermeintlich logische Argumente und Zusammenhänge nicht immer gehört werden. Wer hat schließlich nicht gerne recht …? Mimi Sewalski legt in diesem Sinne den Fokus auf eine Bewusstmachung, wie unsere Lebensmittel erzeugt, verarbeitet, transportiert und behandelt werden. Sie klärt auf und spricht Empfehlungen aus, ohne jedoch mit erhobenem Zeigefinger Verbote oder Vorschriften auszusprechen.
“Es geht darum, sich bewusst zu machen, woher die Lebensmittel kommen und welche Auswirkungen unser Konsum global für die Umwelt, aber auch die Tiere hat. […] Wichtig ist, dass wir besser verstehen, welchen positiven Einfluss wir mit unserem Essverhalten nehmen können, besonders wenn wir klimaschädliche Lebensmittel langsam reduzieren oder auch komplett darauf verzichten.”
Dabei zeigt sich aber schnell, dass tierische Lebensmittel an sich – und nicht nur Fleisch – ein Problem für unseren Planeten darstellen. Die moderne Massentierhaltung hat unser Ökosystem schon längst an seine Grenzen geführt, und was früher aufgrund seines Nährstoff- und Fettgehalts einmal als wichtiges Nahrungsmittel galt (also etwa ein Ei oder auch Milch), das stellt heute ein großes Problem nicht ‘nur’ für den Planeten, sondern auch die betroffenen Tiere selbst dar. Dabei bleibt die Autorin aber auch bei veganen Alternativen kritisch und hinterfragt deren Klimafreundlichkeit. Bei einer Auflistung der klimaschädlichsten Lebensmittel wird so schnell deutlich, dass etwa auch Mandelmilch keine wirklich klimafreundliche Alternative zu Kuhmilch ist, da sie in der Erzeugung sehr viel Wasser benötigt und teils weit reisen muss, bis alle Komponenten bei uns in einer Milchtüte gesammelt im Supermarktregal stehen.
Neben einer Auflistung aller wichtigen Siegel und Kennzeichnungen und der genaueren Betrachtung verschiedener Lebensmittelgruppen, die in Deutschland und wohl in ganz Mitteleuropa gerne konsumiert werden, betont Mimi immer wieder die zentrale Message, die den Lebensmitteleinkauf nicht nur klimafreundlich, sondern ganz allgemein nachhaltig macht: regional, saisonal, bio (und im Idealfall unverpackt, würde ich noch hinzufügen :))
Grüner Wohnen
Der Abschnitt Wohnen ist sehr übersichtlich in die Themenbereiche Energie, Wasser, Einrichtung sowie die einzelnen Zimmer wie etwa Schlafzimmer, Badezimmer usw., eingeteilt. Dazu finden sich Aufstellungen über die Verbrauchsgewohnheiten und zahlreiche Tipps, wie diese verändert werden können, um in den einzelnen Lebensbereichen nachhaltiger zu leben. Dabei ist nicht zuletzt der virtuelle Wasserverbrauch, der uns oft nicht bewusst bzw. bekannt ist, sehr wichtig:
“Der virtuelle Wasserverbrauch gibt an, welche Menge Wasser für die Herstellung eines Produkts verwendet wird. […] Ein Blatt A4 Papier hat einen virtuellen Wasserverbrauch von knapp zehn Litern.”
Das zeigt einmal mehr, dass es nicht immer nur um leicht ersichtliche Produktkompenenten geht, wenn wir uns mit den CO²-Werten beschäftigen, sondern das auch ‘versteckte’ Kosten zu beachten sind. Und auch das Potenzial von Einrichtungsgegenständen, jenseits von Feng Shui und Praktikabilität Einfluss auf unser Wohlbefinden zu nehmen, fällt uns nicht immer gleich ein oder auch auf. Dabei sind hochwertige – auch gebrauchte – Möbel nicht nur aus ästhetischen Gründen eine gute Idee:
“Viele günstige Möbel bestehen aus Pressspanplatten und Sperrholz, die meist verklebt werden. Die Klebstoffe können gesundheitsgefährdend sein. Auch Folienbeschichtung auf Möbeln tragen durch ihre Ausdünstungen nicht zum gesunden Raumklima bei. Besonders Span- und MDF-Platten können Formaldehyd ausgasen, welches im Herstellungsprozess verwendet wird.”
Na das klingt doch ganz wunderbar. Da macht Shopping bei IKEA & Co. doch gleich noch mehr Spaß, wenn wir wissen, dass wir uns damit womöglich fragwürdige Dinge in unser kleines Reich stellen. Für jemanden wie mich, die es gerne klar und funktional hat, müssen Möbel vor allem praktisch, aber auch leistbar sein. Deshalb kommt vieles vom schwedischen Möbelriesen und ist auch schon einige Jahre alt. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass etwas mehr Bedacht bei der Auswahl der funktionalen Wohnausstattung in Zukunft doch nicht schlecht wäre. Vorher nutze ich aber erst mal, was ich schon habe 🙂
Online unterwegs
Dass hinter zahlreichen alltäglichen Dingen ganz schön viel Energieaufwand steckt, ist uns oft nicht bewusst – mir jedenfalls nicht. Gerade Streamingdienste wie Spotify und Netflix oder diverse Apps verursachen einiges an CO², was bei allem Spaß an der digitalen Unabhängigkeit oft untergeht. Mimi Sewalski macht es aber anhand einiger Beispiele recht deutlich:
“Eine E-Mail ohne Anhang verursacht circa 10g CO²-Emissionen. Das entspricht in etwa der Klimabilanz einer Plastiktüte. Ein Arbeitnehmer, der durchschnittliche 33 E-Mails empfängt und 55 E-Mails pro Tag sendet, verursacht Emissionen, die mit einer 11 km langen Autofahrt vergleichbar sind. […]
Ein Smartphone, bei dem mehrere Dutzend Apps im Hintergrund laufen, die sich laufend aktualisieren, hat einen Strombedarf wie ein bis zwei Kühlschränke.”
Da sind recht üble Zahlen, von denen die Autorin auch noch mehr Beispiele aufzählt. Nach dieser kurzen, aber recht knackigen Schockphase zeigt sie aber auch hier Möglichkeiten auf, wie wir nachhaltiger und klimafreundlicher arbeiten und online unterwegs sein können.
Gerade ihre Tipps zum nachhaltigen Workspace sind aber natürlich nicht für alle gleich brauchbar, weil wir auf manche Abläufe nicht immer direkt Einfluss nehmen können. Das papierlose Büro etwa bleibt oft eine fromme Idee, die an Kleinigkeiten wie starren Strukturen scheitern kann, die eigene Bequemlichkeit steht nachhaltiger Digitalisierung oft im Weg – auch wenn viele gar nicht wissen, was eigentlich machbar wäre. Doch auch hier – sei es beruflich oder privat – schafft Mimi Bewusstsein für suboptimale Prämissen und gibt Tipps, wo wir ansetzen können, um unser individuelles Verhalten zu ändern.
On the road again
“Mobilität ist Luxus” lautet die Headline des ersten Textes im Kapitel Mobilität und Reisen und sie ist so einfach wie wahr. Dass wir uns überhaupt mit dem Dilemma der richtigen Fortbewegungsmittel im Alltag und auch Urlaub konfrontiert sehen, zeugt von den zahlreichen Vorteilen, die wir in Europa im Vergleich zu vielen anderen Teilen der Welt genießen. Deshalb ist es bei uns auch so selbstverständlich, dass eine Familie zwei Autos hat – wo kommen wir denn da hin, wenn Mama und Papa sich ein Auto teilen müssten? –, dass mindestens einmal jährlich schön gereist wird und dass ganze Straßenzüge mit Blechkübeln vollgemüllt werden (sprich: Autos parken), wo eigentlich Natur und Mensch Platz haben sollten.
Ihr merkt an dieser Stelle wahrscheinlich, dass ich kein Auto besitze und auch nie eines besessen habe. Der Kult um die überteuerten Blechkisten ist mir ein Rätsel und die meiste Zeit auch herzlichst egal, solange ich mich nicht damit beschäftigen soll. Da Mobilität in all ihren Facetten jedoch für uns alle zum Alltag gehört, nimmt sich Mimi Sewalski auch diesem Thema umfassend an und bietet neben blanken Zahlen und Fakten wiederum zahlreiche Tipps, wie wir unseren mobilen Alltag nachhaltiger gestalten können.
Dazu zählt natürlich auch das Thema Reisen, das sie ebenfalls behandelt. Manches – wie die schlechte Ökobilanz von Flugzeug und Schiff – kennen wir schon seit vielen Jahren. Es aber dann doch mal wieder mit Fakten und Infografiken gesammelt präsentiert zu bekommen, tut ganz gut. Wir vergessen ja doch gerne, vor allem jene Dinge, die wir vielleicht gar nicht so gerne wissen wollen. Ähnlich wie beim Thema Ernährung in der Regel der vegane Lebensstil die nachhaltigste Lebensweise ist, ist auch beim Reisen die flugfreie Option jene, die unserem Planeten am besten tut. Aber eben nicht unbedingt jene, die uns am besten gefällt. Für all die Momente, wo es ohne Flugzeug eben wirklich nicht geht, stellt Mimi zudem die Möglichkeit der Kompensation vor, die etwa bei Atmosfair, myclimate oder auch primaklima geboten wird.
Eine schöne Sache …
Wie schon mal erwähnt, ist Mimi Sewalskis Buch nicht nur für Neulinge ein interessantes Nachschlagewerk. Klar kannte ich dank meines in den letzten Jahren gesammelten Vorwissens einige Tipps und Infos schon, doch vieles andere war mir so nicht klar oder ich hatte es tatsächlich in diesem Kontext noch nie bedacht. Nachhaltig leben jetzt ist perfekt für all jene, die einen umfassenden Überblick mit Fakten, Zahlen und Tipps zur Verbesserung in einem Buch gesammelt wünschen.
Welche Marken produzieren ihre Rucksäcke nachhaltig und fair? Mimi hats für uns notiert.
Was ist gleich nochmal PUR, PMMA, Diethylphtalat und Diazolidinyl Urea? Mimi hats beschrieben.
Gibt es eigentlich ökologische Wandfarben? Klar, einfach mal auf Seite 154 nachschlagen!
Für mich dient dieses Buch vor allem auch zur Inspiration. Mein ADHS-Matschehirn ist oft an viel zu vielen Ecken meines Universums unterwegs, um immer alles im Blick zu haben – oder auch nur einen Bruchteil von “alles”. Mimi Sewalskis Buch bringt unterschiedliche Themen auf der Suche nach dem größtmöglichen Maß an Nachhaltigkeit zusammen, erinnert uns daran, dass wir diese Welt nicht besitzen, sondern ‘nur’ in ihr leben, und deshalb auch für sie verantwortlich sind.
Ihre Tipps inspirieren und informieren, und auch jene, die sich schon etwas länger mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen, finden neue Informationen und Denkanstöße. Infografiken verdeutlichen die gesammelten Fakten und untermalen die Argumentation der Autorin. Ich war begeistert, als ich das Buch auf Instagram entdeckt habe und bin auch jetzt noch begeistert, wo ich es bereits gelesen und mehrfach Dinge nachgeschlagen habe. Ich kann es von meiner Seite aus auf jeden Fall empfehlen – aber das merkt ihr auch irgendwie, oder? 🙂