Eines gleich mal vorweg: Titel können täuschen – Buchtitel genauso wie akademische (aber das sei nur am Rande festgestellt). Frank Berzbachs Die Kunst ein kreatives Leben zu führen vermisst ein Komma und wird von dem eher zutreffenden Untertitel Anregung zur Achtsamkeit ergänzt, der wesentlich besser verdeutlicht, um was es eigentlich geht. Nämlich die Kunst, in einem Tätigkeitsbereich, der gerne romantisiert wird, mit unterschiedlichen Methoden des Zen-Buddhismus und der Achtsamkeitslehre nachhaltig mit den eigenen Energiereserven umgehen zu lernen. Dabei ist dieses Buch keineswegs nur für ‘Kreative’ eine schöne und inspirierende Lektüre, sondern auch für alle jene, die sich wieder ein wenig mehr Ruhe und Gelassenheit in ihrem Leben wünschen – branchenübergreifend sozusagen.
Frank Berzbach studierte nach seiner Ausbildung zum technischen Zeichner Erziehungswissenschaft, Psychologie und Literatur und unterrichtet an der Technischen Hochschule Köln. Sein Überleben hat er zu verschiedenen Zeiten unter anderem als Fahrradkurier, Buchhändler, Wissenschaftsjournalist und Bildungsforscher finanziert. Er ist also in unterschiedlichen Branchen und Arbeitswelten bewandert, die weit über jene der ‘Kreativen’ hinausgehen. Was wohl auch den besonderen Zauber dieses Buches ausmacht.
Das Kreative versteht er als weites Feld, und auch wenn er gerne die Designarbeit erwähnt, ist klar, dass er all jene miteinschließt, die an Text, Gestaltung und Umsetzung arbeiten. Der Fokus liegt jedoch großteils auf einem eher klassischen Agenturalltag, der womöglich (hoffentlich!) nicht allen Kreativen vertraut ist, dank Film und Fernsehen (ja, die bekannte TV-Serie Mad Men wird klar erwähnt) aber gerne verklärt präsentiert wird. Dabei macht Frank schon recht bald klar, dass der moderne Agenturalltag in seiner praktischen Beschaffenheit wenig förderlich für echte Kreativarbeit ist. Frank, I feel ya!!
Die moderne Büroarchitektur hat es geschafft, das konzentrierte Arbeiten zu vertreiben und es ins ‘Homeoffice’ abzudrängen. Kreativität ist, egal wie sehr wir den Teamgeist feiern, ein ganz einsames Phänomen.
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Office und Teams sind kein guter Rahmen für kreative Prozesse.
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Alleine und ungestört arbeiten zu können, vielleicht sogar ohne Anschluss an digitale Kommunikation, das gilt in der modernen Arbeitswelt als eine Sünde und wird gleich architektonisch verhindert.
Damit spricht er mir natürlich aus dem Herzen, mein Blogname ist schließlich mit Bedacht gewählt. Nach Jahren als Freelancerin agiere ich seit letztem Jahr nun selbst in einem wohl recht klassischen Agentur- und Büroalltag, der mich immer wieder an meine Grenzen bringt. Die Glorifizierung des Teams konnte ich noch nie verstehen, und heute noch weniger. Mit dem Verweis auf die (positive) Einsamkeit des kreativen Schaffensprozesses erschließen sich erzwungene Gruppenaktivitäten nicht immer, zumindest mir. Ich empfinde diese allerdings auch nicht als stimulierend oder inspirierend, sondern meist eher als anstrengend. Der Austausch im Team ist wichtig und bringt oft Gutes hervor, aber dafür muss es mit eigenen Ideen in ebendiesen gehen. Und eigene Ideen gedeihen am besten in Ruhe, zumindest in meiner kleinen Welt.
In der Ruhe liegt die Schaffenskraft
Die Ruhe und Gelassenheit, für die er durchwegs plädiert, schafft Berzbach vor allem auch sprachlich. In seiner ruhigen, klaren und vor allem positiven Art beschreibt er Szenarien, bietet Lösungsansätze und lässt zugleich Raum für eigene Gedanken:
Der unruhige Kopf mit seinen vielen Gedanken und Erwartungen schmiedet Käfige, in die wir uns selbst einsperren. Dies beginnt oft schon bei den Vorurteilen, die wir unbewusst darüber fällen, was sich ein Auftraggeber tatsächlich wünscht. Vieles begrenzt unsere Ideenfindung: Unruhe, vorschnelle Bewertungen oder die Unfähigkeit, aktiv zuzuhören. Viele Stäbe des Käfigs existieren nur in unserem Kopf und nicht in dem des Auftraggebers. Je starrer unsere Ansichten sind, je etablierter die Routinen, desto fester scheint die Käfigtür verschlossen.
Die Anspielung auf Rilkes berühmte Gedicht Der Panther ist deutlich, und doch zeichnet sich die Sprache durch eine gewisse Leichtigkeit aus, die signalisiert, dass es das nicht gewesen ist. Hilfe naht. Oder besser: Inspiration zur Selbsthilfe. Diese findet sich in einer sorgsam kuratierten und eklektischen Sammlung an Erkenntnissen, Ratschlägen und theologisch sowie spirituell geprägten Denkansätzen, und alle führen zurück zum (beinahe) titelgebenden Ansatz des Autors, der Achtsamkeit.
Wer anfängt, sich mit seiner eigenen Wahrnehmung der Welt zu beschäftigen, muss weniger über die Außenwelt klagen. Wenn der Ärger abnimmt, werden neue Energien für die Gestaltung des eigenen Lebens und der eigenen Arbeit frei. Dieser Erfahrung innerer Freiheit ist das Ziel spiritueller Übung.
Die Rede ist hier natürlich von Meditation, der Beruhigung des Geistes durch den Fokus auf die Innenwelt. Wie an anderen Stellen seines Buches, in denen er auf religiöse Denk- und Lebensweisen Bezug nimmt, gelingt es Berzbach, diese Verweise lebensnah und selbstverständlich zu formulieren. Selbst ein Benediktinerorden klingt bei ihm nach einem interessanten Kraftplatz, eine Wahrnehmung, die meinem praktizierten Kampfatheismus eher fern liegt. Und auch Zen-Meditation ist bei ihm weniger spiritueller Zauber denn schlicht Teil eines achtsamen Alltags all jener, die einen solchen leben möchten.
Seine Ausführungen haben mich dazu inspiriert, abseits von sogenannten “geführten Meditationen” nur mit ein wenig entspannter Musik meinen Atem zu bezähmen und ich darf feststellen, dass dies eine ungleich entspanntere Meditationserfahrung ist, als ich sie sonst kenne. Allerdings bin ich Mark Williams und Ruby Wax sei dank auch schon ein wenig in der Praxis der Meditation bewandert, was den Zugang zur reinen Atemmeditation für unruhige Geister wie meinen wahrscheinlich erleichtert hat.
Wer mal reinschnuppern möchte, ich nutze die kostenlose App Insight Timer für geführte und Musikmeditationen und habe dort einige Stücke gefunden, die mir sehr helfen. Ich bin nur noch nicht so konsequent, wie es gut wäre, aber daran lässt sich ja noch arbeiten 🙂
Bleib geschmeidig … und vielseitig
Doch zurück zu Berzbachs Buch. Besonders inspirierend sind seine Worte vor allem dann, wenn sie die Offenheit unterstreichen, die das Leben doch eigentlich ausmacht. Natürlich liegt auch hier sein Schwerpunkt im Kreativbereich und natürlich empfinde ich diese Offenheit so besonders inspirierend, weil ich selbst in eben diesem tätig bin – aber ich kenne es auch anders. Ich bin ebensowenig Karrierekreative wie ich Karriereakademikerin bin. Auch wenn ich seit zwölf Jahren in der ein oder anderen Form ‘im Business bin’, liegt meine Spezialität im eingesprungenen Quereinstieg mit neugierigem Doppelsalto.
Und genau deshalb finde ich Berzbachs Ausführungen an den verschiedensten Stellen für viel mehr als ‘nur’ Kreative so ansprechend. Wie etwa hier:
Wir müssen die Fähigkeit entwickeln, allem so zu begegnen, als sähen wir es zum ersten Mal. Und schon verwandelt es sich und ist anders. Es ist tatsächlich auch anders. Alles verändert sich, also ist kein Tag gleich. Manchmal erscheint er uns nur gleich. Wenn wir zu große Erwartungen haben oder glauben, wir wüssten, was kommen wird, trennt uns das von den real existierenden Ereignissen ab. Wir sind unfrei in erstarrten Formen, die unser Denken über eine Welt legt, die sich ständig wandelt. Um in einer solchen Welt gestalterisch tätig zu werden, dürfen wir uns selbst nicht so wichtig nehmen, sondern müssen zurücktreten hinter das, was wir tun. Erst wenn wir selbst zurücktreten, erscheint die Kreativität.
Eine Haltung der permanenten Neugier und Entdeckerlust ermöglicht nicht nur einen leichteren Zugang zu Kreativität, sie macht das Leben generell schöner und bunter. Natürlich ist das nicht immer leicht, manchmal sogar sehr schwer. Aber es lässt sich üben, immer und immer wieder, um sich ein wenig mehr Leben im Leben zu gönnen. Denn etwas zu gestalten hat viele Facetten und ist nicht nur in der Kreativwirtschaft zu finden. Das weiß auch der Autor und macht das durchwegs in seiner offenen Herangehensweise deutlich. Ein Umstand, der dieses Buch vor allem für Menschen, die mehr als nur Agenturen, Ateliers und artsy Art kennen, so besonders macht.
Frank Berzbach inspiriert
Den Abschluss bildet ein Zitat, das mir vor allem zum jetzigen Zeitpunkt, aber letztendlich mein ganzes Arbeitsleben hindurch Hoffnung und Mut gemacht hat – selbst als ich es noch gar nicht kannte:
Kreativität wird erst zur Lebensform, wenn wir nicht aufhören, darüber nachzudenken, welchen Sinn unsere Arbeit hat, welche Richtung wir einschlagen wollen und wie wir die Welt besser hinterlassen. Die gute Botschaft dieser tiefgründigen Frage besteht darin, dass wir jederzeit die Möglichkeit haben, die Richtung zu ändern und damit zu beginnen, anders zu leben und zu arbeiten.
Dabei geht es nicht (nur) in erster Linie darum, ob Kreativität Lebensform ist oder nicht; viele alltägliche Aufgaben der Kreativen sind soweit weg von eine klischeehaften “kreativen Schaffenskraft’ wie jeder andere Fließbandjob. Doch sein Verweis auf die Möglichkeiten und Freiheiten, die sich immer wieder und gerade auch in dieser Branche ergeben können, wenn wir es möchten, suchen und (er)schaffen, macht zuversichtlich.
Zuversichtlich, nicht nur diese allgemeine, sondern auch mögliche persönliche Krisen zu meistern und sie als Chance nutzen zu können, die eigenen Wertigkeiten und Prioritäten einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Manchmal tut es gut, zum Innehalten gezwungen zu werden, um sich genauer anzusehen, wie es denn eigentlich gerade aussieht im eigenen Leben. Und wo auf dem Weg manche Ideen und Wünsche womöglich nicht mehr nachgekommen sind. Frank Berzbach inspiriert dazu, die Augen zu öffnen – und offenzuhalten.
Und zum endgültigen Abschluss ein kleiner Wermutstropfen, der aber hoffentlich nur für Korinthenkackende wir mich, die schon mal in der lektorierenden/korrigierenden Textarbeit tätig waren, ersichtlich ist. Wie schon im Titel kommt das Buch mit einer sehr schlanken Kommasetzung aus … so schlank, dass mir das sogar in meiner Freizeit freiwillig auffällt. Das finde ich vor allem bei einem sonst so liebevoll und sorgfältig gestalteten Werk mit so schönen Ideen schade. Natürlich machen wir alle Fehler, und ich selbst am allermeisten(!), aber in diesem Buch hat es mich dann doch überrascht.
Allerdings ist das noch lange kein Grund, es nicht zu lesen oder weniger wertzuschätzen – schließlich steht immer noch die Message im Zentrum, und Achtsamkeit kommt auch mal mit weniger Kommas aus 🙂